Bei den Deutschen Meisterschaften im Straßengehen schaute am Samstag der Winter nochmal kräftig vorbei, den Leistungen tat das keinen Abbruch. Über 20 Kilometer siegten Nils Brembach und Saskia Feige, die beide für den SC Potsdam starten, in beeindruckender Manier und unterboten sowohl die WM- als auch die Olympianorm. Die Meisterschaften der „kürzeren“ Strecke werden traditionell in Naumburg ausgetragen und fielen dieses Jahr mit dem 50. Jubiläum des dortigen Internationalen Straßengehens zusammen.
Die Teilnehmer staunten nicht schlecht, als sie am Samstag Morgen aus dem Fenster schauten: Dicke Schneeflocken fielen über Naumburg, die Stadt, die über Jahrzehnte zum Mekka der deutschen Geher geworden ist. Ausgerechnet zum Jubiläum hatte sich das Wetter eine derartige Bescherung ausgedacht. Man ist als Outdoor-Sportler ja so einiges gewohnt, Hitze, Schwüle, Regen und Wind hat man im Wettkampf alles schon erlebt. Nun sollte es also Schnee werden, etwas, was sonst eher die Crossläufer kennen.
Deutschlands beste Geher hatten sich wie in den vergangenen Jahren versammelt, um ihre Meister über 20 Kilometer auszutragen. Dies ist die „Kurzstrecke“ für die Männer und Frauen, und findet immer im Frühjahr, und fast immer in Naumburg statt. Die Meisterschaften über die Langstrecke, die 50 Kilometer, ist normalerweise im Herbst, wird dieses Jahr aber unter anderem wegen der späten WM leider entfallen. Auch die Geher und Geherinnen der Seniorenklasse waren in Naumburg über 20 Kilometer unterwegs, für sie ist es die Langstrecke. Eine weitere Meisterschaft über 10 Kilometer wird für sie Ende September in Gleina stattfinden, die in den letzten Jahren üblichen 30 Kilometer entfallen ebenfalls. Die einzige Straßenmeisterschaft war Naumburg für die Jugend, die ihre Wettkämpfe über 10 und 5 Kilometer austrug.
Es war interessant zu sehen, wie sich die Geher auf die Bedingungen einstellten. Einige hielten sich eine Weile drinnen auf und gingen erst eine Dreiviertelstunde vor dem Start nach draußen, um sich einzugehen. Und das dann mit zwei Hosen, teilweise mehreren Jacken, Mütze und Handschuhen. Als um 9 Uhr der Startschuss für die 20 Kilometer fiel, standen alle mit kurzen Hosen an der Linie – lange Hosen sind beim Gehen nicht erlaubt, damit die Kampfrichter die Kniestreckung beobachten können. Während viele ihre normale Wettkampfhose trugen, zogen manche eine Radlerhose und Kompressionsstrümpfe an. Manche rieben ihre Beine sogar mit Wärmesalbe ein. Unter das Trikot zogen manche an langes Oberteil, andere ein T-Shirt und Ärmlinge, die sie zum Teil nach ein paar Runden auszogen. Auf dem Kopf trugen manche eine Wintermütze, andere eine Schirmmütze, damit ihnen der Schnee nicht ins Gesicht weht. Manche zogen sich zusätzlich ein Tuch über die Ohren. Die Helfer an der Strecke versuchten, den Asphalt von den Wassermassen zu befreien, und waren am Wendepunkt den ganzen Wettkampf über mit Besen im Einsatz.
Vielleicht beeindruckt von den Bedingungen ließ die Männerspitze es die ersten fünf Kilometer Verhalten angehen. Die acht Bundeskader-Athleten gingen gemeinsam knapp unter 21 Minuten durch. Allerdings ging es auch für niemanden um die WM-Norm und so hatte niemand ein Interesse, das Tempo gleich hoch anzuschlagen. Anders die Frauen: Hier ging Emilia Lehmeyer vom Polizei SV Berlin gleich 22:49 min an, die beiden Potsdamerinnen Saskia Feige und Teresa Zurek folgten jeweils im Abstand von wenigen Sekunden dahinter. Saskia konnte in der siebten 1km-Runde zu Emilia aufschließen und die beiden passierten die 10km-Marke in schnellen 45:43 min.
Bei den Männern zogen Nils und sein Vereinskamerad Christopher Linke das Tempo im sechsten Kilometer an und sprengten so die Gruppe. Nachdem Nils die Hälfte der Strecke in 41:08 min drei Sekunden vor Christopher passierte, ging dieser anschließend vorbei und versuchte sich abzusetzen. Nils schloss nach 14 Runden wieder auf und setzte im 16. Kilometer die entscheidende Attacke. In starken 1:20:48 h blieb er nur sechs Sekunden über seiner persönlichen Bestzeit und sicherte sich nach 2015 seinen zweiten Deutschen Meistertitel über 20 Kilometer. Christopher wurde in 1:21:32 h Vizemeister, nachdem er eine Woche vorher in Podebrady (Tschechien) schon unter der Olympia-Norm von 1:21 Stunden geblieben war.
Saskia konnte sich in der zweiten Hälfte zunehmend von Emilia absetzen und gewann überzeugend in 1:30:40 h. Damit steigerte sie ihre Bestzeit um mehr als zwei Minuten und erfüllte schon die Norm für die Olympischen Spiele. So schnell war seit Melanie Seeger 2011 keine deutsche Frau mehr gewesen. Emilia folgte als Zweite in 1:32:45 h ebenfalls noch in persönlicher Bestzeit und hakte die Qualifikation für die WM in Doha ab. Teresa brach in der zweiten Hälfte etwas ein, konnte in 1:35:03 h aber die Norm für die U23-EM unterbieten und sicherte sich den dritten Platz der internationalen Wertung, eine Sekunde vor der Französin Marine Quennehen. Bianca Dittrich vom SCL Heel Baden-Baden, die zunächst auf dem vierten Platz in der Deutschen Meisterschaftswertung lag, wurde in der achten Runde wegen fehlender Kniestreckung disqualifiziert. So ging der vierte Platz an Kathrin Schulze vom ASV Erfurt, die damit auch den Titel in der Seniorinnenklasse W35 gewinnen konnte. Die Medaillengewinnerinnen gehören alle noch der U23-Klasse an und lassen somit viel für die Zukunft hoffen.
Bei den Männern entwickelte sich hinter Nils und Christopher ein spannender Kampf um die weiteren Plätze. Mit dem Potsdamer Hagen Pohle und Nathaniel Seiler vom TV Bühlertal hatte sich zunächst ein Duo im Kampf um Platz drei herausgebildet, dahinter ging ein Trio aus Carl Dohmann (SCL Heel Baden-Baden), Jonathan Hilbert (LG Ohra Energie) und Leo Köpp (LG Nord Berlin). Karl Junghannß vom LAC Erfurt, der zuletzt über muskuläre Probleme klagte, konnte das Tempo auf dem zweiten Viertel nicht mehr mitgehen und gab das Rennen in der zwölften Runde auf.
Die anderen machten die Meisterschaftsplätze unter sich aus. Nach der Hälfte der Strecke fiel Jonathan zurück, weiter vorne konnte Hagen sich nach 12 Kilometern von Nathaniel absetzen. Das Duo aus Carl und Leo machte sich auf die Verfolgung, schloss nach 16 Kilometern zu Nathaniel auf und zog schließlich vorbei. In der vorletzten Runde konnte Leo seine Grundschnelligkeit ausspielen und entschied den Kampf um Platz vier für sich. Hagen erreichte als Dritter in 1:23:00 h das Ziel und erfüllte damit genau den Leistungsnachweis, den er dieses Jahr noch für die WM erbringen musste. Leo steigerte mit 1:23:24 h seine Bestzeit um zwei Minuten, unterbot die Norm für die U23-EM deutlich und empfahl sich damit auch für die 20 Kilometer beim Europacup, der am 19. Mai in Alytus (Litauen) stattfinden wird. Carl wurde in 1:23:48 h Fünfter, auf den sechsten Gesamtrang schob sich in 1:24:01 h noch der Franzose David Kuster.
Carl befindet sich wie Nathaniel (1:24:51 h), Jonathan (1:27:21 h) und Karl im Training für die 50 Kilometer beim Europacup, die vier nutzten den Wettkampf in Naumburg als Unterdistanztest. Der Europacup wird auch über die zwei noch vakanten WM-Plätze entscheiden, denn alle vier haben die Norm bereits erfüllt, Carl ist durch seinen fünften Platz bei der EM aber schon gesetzt. Die Leistungen in Naumburg sprechen dafür, dass sowohl die Männer als auch die Frauen auch über 20 Kilometer starke Teams nach Alytus schicken können.
Dort wird auch die Jugend vertreten sein, die in Naumburg ebenfalls um Titel kämpfte. Als deren Wettbewerbe um 12 Uhr gestartet wurden, hatte es aufgehört zu schneien, es war aber immer noch sehr kalt. Den Sieg über 10 Kilometer holte sich in der männlichen U20 Jakob Schmidt vom SC Potsdam in 44:15 min. Im Kampf um den zweiten Platz konnte sich sein Vereinskamerad Johannes Frenzel im Endspurt in 45:18 min durchsetzen, eine Sekunde vor Otto Junghannß vom Erfurter LAC. Bei der weiblichen U20 hieß die Siegerin Josephine Grandi, ebenfalls vom SC Potsdam, die sich in 50:42 min klar durchsetzte. Über 5 Kilometer wurde die Deutsche Meisterschaft in der weiblichen U18-Klasse ausgetragen. Hier gewann Mathilde Frenzel in der starken Zeit von 23:29 min, auch sie geht für Potsdam an den Start. In der männlichen U20-Klasse war das Feld über 10 Kilometer leider nur sehr spärlich besetzt. Den Titel holte sich Joris Ecknig vom SV Halle in 1:06:53 h.
Nachdem die Titelkämpfe zu Ende waren und die Teilnehmer zumindest halbwegs aufgewärmt waren, fand zu Ehren des 50. Internationalen Naumburger Straßengehens noch ein Treffen statt, zu dem auch einige ehemalige Gehergrößen kamen, die entweder noch zu DDR-Zeiten oder danach im Rahmen von gesamtdeutschen Meisterschaften in Naumburg regelmäßig an den Start gegangen waren. Der Höhepunkt der Naumburger Gehergeschichte war das Jahr 2004, als sogar der Weltcup der Geher in der Stadt an der Saale ausgetragen wurde.