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Sportlerprofil by Larasch

Meine liebe "Wassermedaille“

Auf dem Weg nach Brixen

Meisterschaften sind meistens für ihre Unberechenbarkeit bekannt. Gerade deswegen sind sie sehr spannend und aufregender als Laufveranstaltungen, bei denen man sich hauptsächlich auf eine Zeit konzentriert. Hier zählt vor allem die Platzierung. Deswegen hatte ich mir die Meldeliste in den Tagen vor dem Lauf mehrere Male angesehen und überlegt, wie das Rennen verlaufen könnte. Meine Meldezeit von 10:40,40 war die Sechstbeste. Die drei schnellsten Meldezeiten waren 9:51,89 (Isabel MATTUZZI), 10:00,41 (Laura DALLA MONTA‘) und 10:13,31 (Silvia OGGIONI). Alle drei Athletinnen sind Teil der italienischen Nationalmannschaft und die Erste qualifizierte sich 2018 bei der EM in Berlin mit einer Zeit von 9:34,02 für das Finale. Zeitlich langsamer, aber schneller als ich, waren noch 10:25,00 (von Ludovica CAVALLI) und 10:38,40 (von Linda PALUMBO) der Meldeliste zu entnehmen - sie gehören zum Nationalteam Italiens der U20. Leider entschied Ludovica – meine liebe Teamkollegin aus dem Heimatverein, die 10:25 Minuten in der Woche zuvor bei den europäischen Titelkämpfen der U20 in Boras (Schweden) lief –  einen Tag vor dem Rennen nicht zu starten. Dazu wurde mir gesagt, dass Silvia OGGIONI –  die in ihrer Karriere schon einmal 9:55,02 gelaufen ist –  gerade nicht gut in Form sei, und dass Linda PALUMBO dieses Jahr schon 10:30,32 gelaufen sei. Mit diesen Informationen waren die Voraussetzungen für ein spannendes und offenes Rennen top und sie motivierten mich sehr.

27.07.2019 Der Tag vor dem Rennen

Nach einer langen Bahnfahrt erreichte ich am Tag vor dem Rennen Brixen. Dort absolvierte ich vor dem Abendessen noch ein letztes lockeres Läufchen zwischen Apfelbäumen und Weinbergen, bei dem ich einfach versuchte, mich zu lockern und mit freiem Kopf meine Körperbewegungen zu genießen. Später ging ich zum Stadion und schaute mir spannende Finals an, bei denen unerwartete Platzierungen und Landesrekorde gelaufen wurden. Als ich das Stadion betrat, verschlug es mir fast den Atem: Die Bahn war grün und sie lag in einer atemraubenden Lage, umringt von Bergen, die von Tannenbäumen in tausenden Grüntönen geschmückt waren. Als Krönung bereicherten zwei Regenbogen diese fabelhafte Kulisse und verliehen ihr etwas Magisches. Die Wettkampfstimmung war auch ganz gut. Leider gab es nicht so viele Sitzplätze und Menschen wie in den Stadien von Erfurt oder Nürnberg, in denen ich jeweils 2017 und 2018 die deutschen Meisterschaften live gesehen hatte, aber man muss nicht immer Vergleiche ziehen. Manchmal soll man einfach genießen, was man hat. So konnte ich mir drei spannende Rennen anschauen und mich auf meinen Aufritt am darauffolgenden Tag freuen. Die Balken waren gelb und blau gestreift und unter dem Hindernis am Wassergraben standen Vasen mit grünen Pflänzchen, was ich immer angenehmer finde, als das Wasser direkt vor meinen Augen zu sehen, wenn ich auf den Graben zulaufe.

28.07.2019 Das Rennen

Bis 19:40 Uhr mussten am Wettkampftag die 19 Athletinnen warten, bis sie sich an der Startlinie aufstellen durften. Ich war anwesend und konzentriert. Der Lauf wurde pünktlich gestartet. Die Wetterbedingungen waren gut. Es war ein wenig schwül, aber kühl und in den letzten Stunden hatte der Regen aufgehört. Das Rennen fing gut an. Die schnellsten Mädels wollten richtig laufen und es gab zum Glück kein taktisches Rennen, was ich nicht mag und bei Meisterschaften seit einer Erfahrung im letzten Jahr befürchte. Die drei Athletinnen mit den schnellsten angemeldeten Zeiten machten das Tempo und sofort danach folgte Linda PALUMBO. Ich hing mich an ihre Fersen. Nach drei Runden wurde Linda langsamer und so nutze ich eine Balkenüberquerung aus, um sie zu überholen. Linda konnte die Tempoverschärfung nicht mitgehen und ich machte mein Rennen weiter mit knapp 30 m Abstand zur Dritten. Ich versuchte einfach, locker zu bleiben und die vor mir liegende Silvia im Blick zu behalten. „Der Lauf ist noch lang – behalte mal diesen Abstand und schau mal einfach, was in den letzten 600 Metern noch geht“, dachte ich mir. Übertreiben kann man immer schnell und dann werden die Beine plötzlich blau. MATTUZZI und DALLA MONTA‘ machten das Rennen unter sich aus und OGGIONI konnte nicht zu dem Duo aufschließen. Kurz danach folgte ich. Der Moderator sprach meinen Namen mit leichter Bewunderung aus, da ich in dieser Szene völlig unbekannt war. Die letzten 600 m waren gekommen, aber meine Beine waren nicht so frisch wie ich es erhofft hatte. 3:28 bei 1000 m, 6:58 bei 2000 m und jetzt fehlte nur noch die letzte Runde. Die Uhr zeigte 9:07 oder so. Noch 400 m, aber ich merkte schon, dass an eine Beschleunigung nicht mehr zu denken war. Jetzt musste ich meinen Plan ändern und die gute Platzierung verteidigen und behalten. Konzentriert lief ich weiter und so kamen sie: Die letzten 200 m mit dem letzten Wassergraben. Ich war positiv eingestellt und zielbewusst, aber die Erschöpfung war so groß, dass ich mich nach dem 76,2 cm hohen Sprung nicht mehr weiter abdrücken konnte und mit vollem Gesicht im Wasser landete. Ich tauchte komplett im Wasser unter. Die Wellen schlugen hoch.

 „Weinen oder lachen?“, dachte ich mir kurz. „Weder, noch! Einfach weiterlaufen und Vierte bleiben!“

Auch die letzte Balkenüberquerung ist mir sehr künstlerisch und einzigartig gelungen. Nichtdestotrotz kam ich als Vierte ins Ziel. Erschöpft!

MATTUZZI wurde Erste in 10:10;66, DALLA MONTA‘ Zweite in 10:14;27, OGGIONI Dritte in 10:15;26 und COSTADURA Vierte in 10:35;49. Ich konnte es kaum glauben!

Mein Vater lief später begeistert und lachend auf mich zu: „Das war sogar eine Bestzeit mit Bad!!“

Reflektion und weitere Pläne

Viele würden sie Holzmedaille nennen. Ich verwende hingegen den Neologismus „Wassermedaille“. Warum?

Ich bin dem Wasser dankbar, dass es mich vor einer Verletzung geschützt hat. Meine „Medaille“ war nicht hart im Sinne von „schwer zu verdauen“ oder „schmerzhaft“. Sie war das Beste, was ich mir hätte wünschen können. Noch dazu ist das Wasser ein fließendes Element und kann leicht umgeformt werden. Deswegen besteht bei mir die Hoffnung, meine Zeit bei zukünftigen Rennen zu verbessern.

Unumstritten ist, dass Silvia OGGIONI - die Dritte - am Ende noch ziemlich frisch war und eine saubere, schnelle letzte Runde laufen konnte, bei der sie die Zweite fast einholte. Diese Wassermedaille war für mich erfrischend und unerwartet. Gerade genieße ich meine schöne vergangene Meisterschaft und gebe mir noch ein wenig Zeit für eine komplette Erholung, bevor ich wieder fit an einer Startlinie stehen kann.

Bis zum nächsten Bericht und liebe Grüße,

Clara