Menü

Sportlerprofil by Larasch

In Flecktarn zu Olympia – Profisportler bei der Bundeswehr

„Gruppe 3! Aufstehen!“, dröhnt eine Stimme am Ende des Gangs und reißt mich damit aus dem Tiefschlaf. Ein Blick auf dem Wecker zeigt mir warum. 5:30 Uhr – eine Zeit zu der man sich auch gerne nochmal umdrehen und weiterschlafen möchte. Doch daraus wird in den kommenden Wochen nichts. Ich befinde mich in der Grundausbildung und da wird auch mir als Marathonläufer, der sich als recht diszipliniert einstufen würde, alles abverlangt. Viel Zeit zum Dösen bleibt nicht, denn schon in 20 Minuten muss meine achtköpfige Gruppe in Uniform und mit gepacktem Rucksack am Gang antreten. Wer Liegestützte vermeiden möchte, sollte sich daran genau halten. Achja: Das Bett muss ja auch noch akkurat gemacht sein, die Stube gereinigt sein und mein Bart der Rasurkontrolle standhalten können. Ein letzter Check: Sind meine Taschen richtig gepackt, die Knöpfe meiner Uniform zu und die Schuhbänder fixiert? Dann geht’s raus auf den Gang, wo meine sieben Kameraden schon in Linie angetreten sind. Wenige Augenblicke später kommt unser Ausbilder herein und wird nach erfolgreicher Meldung der vollständig erschienenen Gruppe mit einem ziemlich lauten „Guten Morgen Herr Oberfeldwebel“ begrüßt.

Schon am ersten Tag merke ich: Hier ist ordentlich Zug drin und es wird auch auf Kleinigkeiten geachtet. Ist der Spind ordentlich eingeräumt, sodass alle Kleidungsstücke bündig liegen, hat der Bettbezug Falten und liegen Dinge auf dem Schreibtisch, die dort nicht hingehören? So viel Ordnung muss sein und Struktur werden wir in den nächsten Wochen brauchen. Denn der Zeitplan ist eng und eine echte Herausforderung: In nur vier Wochen müssen uns die grundlegenden soldatischen Fähigkeiten unter strengen Corona-Bedingungen beigebracht werden. Denn eins sollte man nicht vergessen: Auch, wenn wir als Sportsoldaten eine besondere und vor allem repräsentative Aufgabe in der Bundeswehr erfüllen werden, bleiben wir vollwertige Soldaten und sollten die Basics draufhaben.

Dementsprechend straff und abwechslungsreich ist unser Tag getaktet: Antreten um 5:50 Uhr, Frühstück, Antreten um 7:00 Uhr, Stubenkontrolle und dann geht’s los mit Unterrichten und Praxisübungen, die vom Mittagessen um 11:00 Uhr und einer kurzen Pause unterbrochen werden, bevor es am Nachmittag in den Dienstschluss geht. Die Unterrichte decken alles ab - von grundlegenden Informationen bis zu konkreten Verhaltensweisen im Einsatz: Welche soldatischen Rechte und Pflichten habe ich, wie ist das System Bundeswehr strukturiert, wie funktioniert der Dualismus aus Befehl und Gehorsam, wie sichere ich einen Alarmposten, wie navigiere ich bei langen Märschen, wie versorge ich Verletzungen und wie funktioniert unsere Ausrüstung?

Solche und viele weiteren Lektionen kommen dann bei den Praxiseinheiten zum Einsatz. Bei einem Orientierungslauf müssen wir unsere navigatorischen Fähigkeiten beweisen, wir lernen militärisch zu funken, simulieren die Rettung von Verwundeten und eine Gefechtssituation, müssen uns formal korrekt in Anwesenheit von Vorgesetzten verhalten, haben sogar Schusstraining mit der Waffe und üben die verschiedenen Bewegungsarten mit Gepäck auf der Hindernisbahn. Vor allem die niedrigste Bewegungsart – das sogenannte Gleiten – werde ich so schnell nicht vergessen: Sich mit eng am Boden gedrücktem Rumpf fünfzig Meter weit nach vorne ziehen zu müssen ist nur enorm kräftezehrend, sondern bei einem harten oder unebenen Untergrund ziemlich schmerzhaft. Da ich mich insbesondere beim Hantieren mit der Ausrüstung zunächst nicht allzu geschickt anstelle, komme ich recht häufig in den Genuss, diese Bewegungsart „trainieren“ zu dürfen.

Dass wir uns bei der Ausbildung leider auf unsere kleinen Gruppen beschränken und Abstand zu den anderen Gruppen, die ebenfalls aus angehenden Sportsoldaten bestehen, halten müssen, ist den Corona-Abstandsregeln geschuldet. Da die Bundeswehr angesichts der Pandemie in besonderem Maße einsatzbereit bleiben muss, sind die Abstandsregeln strikt und die Maskenpflicht gilt überall in der Kaserne – auch im Freien.

Mit mir zusammen durchlaufen diese vierwöchige militärische Sportler-Grundausbildung mehr als 40 weitere Athleten aus allen denkbaren Sportarten, die es in die begehrte Sportförderung der Bundeswehr geschafft haben und in Zukunft als Profi noch größere Erfolge einfahren wollen. Die Ausgangslage ist enorm attraktiv: Während ich zuvor vielen weiteren Nebentätigkeiten auf Kosten der Regeneration nachging, kann ich mich nun bei voller sozialer Absicherung auf den Sport konzentrieren und sogar in kleinem Rahmen mein Studium zum Abschluss bringen. Den Ausschlag, den Sprung in die Sportfördergruppe zu wagen und damit auch meinen liebgewonnenen Job als Werkstudent aufzugeben, gab mir mein Leistungssprung beim Sevilla Marathon im Februar 2020, bei dem ich mich um fast drei Minuten auf eine Zeit von 2:10:18 Stunden steigerte. Denn nun habe ich ein Niveau erreicht, auf dem man sich de facto nur noch als Vollprofi weiter steigern kann und praktisch jeder Konkurrent auf diesem Level als Profi unterwegs ist.

Schon in den ersten Wochen, nachdem ich in die Sportfördergruppe in Warendorf versetzt wurde und seitdem mit der Devise „Trainingsplan gleich Dienstplan“ für das Training freigestellt bin, merke ich, was das für eine enorme Erleichterung ist. Insbesondere kann ich mir nun für die Regeneration wesentlich mehr Zeit nehmen und gehe ausgeruht in die nächsten Einheiten, während ich zuvor zwischen den Trainingseinheiten im Homeoffice aktiv war. Von dieser Situation erhoffe ich mir mittelfristig eine weiteren Leistungssprung und eine höhere Belastungsverträglichkeit im Training.

Zudem bleibt mir das positive Gefühl, aus der bedrückenden und frustrierenden Corona-Situation das Beste gemacht zu haben und trotz fehlender Wettkämpfe einen Schritt in die richtige Richtung gegangen zu sein. Weil die Grundausbildung körperlich recht anstrengend war, habe ich in der Zeit nur sehr eingeschränkt trainiert und mich auf einige Dauerläufe beschränkt. Da in der Regel kurz nach der Grundausbildung ein Marathon angestanden hätte, wäre die Vorbereitung dementsprechend schwierig geworden. Unter diesen Umständen hat mir die erfolgreiche Grundausbildung aber einen neuen Motivationsschub gegeben und ich blicke nun auf einen erfolgreichen Wiedereinstieg ins Training zurück. Die Weichen für neue Erfolge sind gestellt – nun muss nur noch Corona mitspielen!

 -----------------------------------------------------------------------------------

Sportsoldat – was ist das?

Im nationalen Fördersystem des Spitzensports spielt die Bundeswehr eine zentrale Rolle, indem sie deutschen Spitzenathleten Profibedingungen schafft. Dafür stellt sie aussichtsreiche Athleten als vollwertige Soldaten ein und stattet sie mit einem besonderen Auftrag aus: Deutschland als Vorbild und Botschafter zu repräsentieren und erfolgreich an internationalen Wettkämpfen teilzunehmen. Dafür werden die Sportsoldaten vom regulären Dienst freigestellt, um sich mit voller Kraft dem Training widmen zu können. Gemäß der Devise „Trainingsplan gleich Dienstplan“ ermöglicht die Bundeswehr den geförderten Sportlern ein ungestörtes Training im bewährten Umfeld der Olympiastützpunkte und sorgt dabei für die soziale Absicherung. Die 15 militärischen Sportfördergruppen, denen die rund 800 Sportsoldaten aus olympischen, paralympischen und nicht-olympischen Sportarten zugeteilt werden, befinden sich deshalb immer in der Nähe von Olympiastützpunkten. Die Erfolgsbilanz ist eindrucksvoll: Seit 1992 waren Sportsoldaten an 44 Prozent aller gewonnen Medaillen bei Olympischen Winter- und Sommerspielen beteiligt. In Person von Gesa Krause, Amanal Petros und zuvor Sabrina Mockenhaupt sind auch viele bekannte Gesichter aus der Laufszene als Sportsoldat aktiv.

Warum gibt es Sportsoldaten?

Im gesundheitlichen und sozialen Bereich kommt dem Sport eine hohe enorme gesellschaftliche Bedeutung zu. Insbesondere Spitzensportler erfüllen dabei als Botschafter des Sports eine Vorbildfunktion und motivieren Breitensportler dazu, sich zu bewegen und in Sportvereinen zu engagieren. Um international konkurrenzfähig zu sein, benötigen die deutschen Topathleten eine entsprechende Förderung, da es mit Nebenjobs und anderen Tätigkeiten kaum möglich ist, gegen die Besten der Welt zu bestehen. Nach einem Beschluss des Deutschen Bundestages aus dem Jahr 1968 richtete die Bundeswehr das System der Sportfördergruppen ein und begreift sie als Beitrag zur Chancengleichheit der deutschen Athleten, die aufgrund mangelnder anderer Fördermöglichkeiten einen Wettbewerbsnachteil hätten. Ähnliche Fördersysteme gibt es in kleinerem Rahmen beim Zoll und der Polizei.

Wie wird man Sportsoldat?

Wer Sportsoldat werden will, muss recht hohe sportliche Kriterien erfüllen und kann sich dafür nicht direkt bei der Bundeswehr bewerben, sondern muss vom jeweiligen Spitzensportverband vorgeschlagen werden. In diesem Prozess wählen die Verbände und Bundestrainer geeignete Athleten aus den Kader- und Nationalmannschaftsstrukturen aus und nominieren sie – sofern der Athlet interessiert ist – für den Auswahlprozess. In Kooperation mit dem Deutschen Olympischen Sportbund und der Bundeswehr wird dann entschieden, ob es der Athlet ins begehrte Fördersystem schafft. Anschließend durchlaufen die angehenden Sportsoldaten eine verkürzte Grundausbildung von vier Wochen und werden dann für das Training freigestellt. Begleitend dazu durchlaufen sie dann die Mannschaftsdienstgrade und können eine verkürzte Unteroffizierlaufbahn einschlagen, die den zeitlichen Bedürfnissen der Sportler Rechnung trägt. Zudem setzt sich die Bundeswehr dafür ein, dass die geförderten Athleten auch bei der dualen Karriere vorankommen. So ist es beispielsweise möglich, zu studieren, sofern es den sportlichen Fortschritt nicht beeinträchtigt. Der Sportsoldatenstatus ist allerdings immer an die sportliche Leistungsentwicklung geknüpft und wird regelmäßig überprüft, sodass eine Versetzung in die reguläre Truppe möglich ist.