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Sportlerprofil by Larasch

Liebes Tagebuch, …

Programm heute: 30 Kilometer Longrun, durchschnittlich 3:45 Minuten pro Kilometer, gesteigert bis 3:30 Minuten pro Kilometer, Befinden: lockere Beine, aber hinten raus etwas zäh… Nein, in diesem Tagebuch geht es offensichtlich nicht um eine nicht erwiderte Liebe, eine philosophische Betrachtung des Weltgeschehens oder eine Erinnerung an den letzten Urlaub. Dieses Tagebuch ist speziell. Es ist ein Tagebuch für Sportler. Fakten. Zahlen. Kein Platz für Ausreden. Und es lässt dennoch etwas Raum für Gefühle: Das Trainingstagebuch ist vor allem für zielorientierte Läufer eine enorm wichtige Stütze und besticht vor allem durch eine Eigenschaft: Ehrlichkeit.
 
Klar, jeder weiß: Ehrlichkeit kann manchmal auch wehtun. Dennoch vereint ein Trainingstagebuch wertvolle Vorteile, die es Läufern egal auf welchem Niveau ermöglichen, Fortschritte zu machen. Vor allem im professionellen Laufbereich ist solch ein Tagebuch ein Must-Have und trägt essenziell zur Trainingssteuerung bei.
 
Das Trainingstagebuch schafft eine Orientierungsgrundlage
Den Überblick zu behalten und eine Basis für spätere Auswertungen zu schaffen sind zwei grundlegende Vorteile, wenn man sein Training konsequent protokolliert. Andernfalls ist es praktisch unmöglich, Wochen, Monate oder Jahre später zu rekonstruieren, wie man sich auf frühere Herausforderungen vorbereitet hat. Doch gerade dieses Wissen und der damit verbundene Erfahrungsschatz sind enorm wertvoll, wenn es darum geht, aus vergangenen Fehlern zu lernen oder bewährte Trainingsmethoden zu konservieren. Je länger und detaillierter solch ein Trainingstagebuch geführt wird, desto wertvoller ist das darin enthaltene Wissen – sowohl für den Sportler als auch für den Trainer.
 
Das Trainingstagebuch ermöglicht eine strukturierte Vorbereitung
Nicht nur beim Blick auf zurückliegende Trainingsphasen ist ein Trainingstagebuch Gold wert. Während einer Vorbereitung auf ein konkretes Ziel, beispielsweise dem Bewältigen des Berlin Marathons am „Tag X“, hilft, sich nicht nur auf sein Bauchgefühl zu verlassen, sondern mit Hilfe des Trainingstagebuchs einen Soll-Ist-Vergleich zu schaffen. Gefühlt kann eine Woche ziemlich gut verlaufen sein, beim genauen Blick ins Protokoll aber zum Beispiel bei den absolvierten Kilometern hinter den Erwartungen zurückgeblieben sein. Übrigens geschieht dies meiner Erfahrung nach eher umgekehrt und man ist häufig erstaunt, wie gut man trotz gefühlter Ernüchterung unter dem Strich abgeschnitten hat.
 
Zudem lässt sich zum Beispiel mit Excel der zeitliche Abstand zum Ziel visualisieren, wodurch man sein Training besser timen kann. Mit dem konkreten Fortschritt und den detaillierten Zeiten - beispielsweise bei Intervallprogrammen - vor Augen ist es darüber hinaus wesentlich einfacher, sein Training an den richtigen Stellen weiterzuentwickeln, als wenn man sich nur auf die grobe Erinnerung verlässt. Dringend zu empfehlen ist dabei, nicht nur die „nackten Zahlen“ zu erfassen, sondern auch das persönliche Empfinden während der Einheit zu protokollieren. Ein absolvierter 25 Kilometer Longrun in einem bestimmten Tempo kann spielerisch leicht oder „auf dem Zahnfleisch“ absolviert worden sein, was für eine Einordnung des Trainings entscheidend ist.
 
Das Trainingstagebuch schafft Verbindlichkeit
Beständigkeit ist Trumpf – dieses Motto gilt im Laufsport ganz besonders. Um erfolgreich zu sein, ist es wichtiger, durchgehend auf einem stabilen Niveau zu trainieren, als punktuell an die Grenze zu gehen und zwischendurch federn zu lassen. Hier knüpft das Trainingstagebuch an. Durch die Tages- und Wochenstruktur fordert das Trainingstagebuch den Nutzer in gewisser Weise heraus, es zu pflegen und somit regelmäßig und konsequent zu trainieren.
 
Das Trainingstagebuch als mentaler Trick
Zusätzlich zum Schaffen von Verbindlichkeit ist der Belohnungsfaktor beim Pflegen eines Trainingstagebuchs nicht zu unterschätzen. Vor allem nach dem Absolvieren von guten Trainingsprogrammen, beim Erreichen eines Wochenziels oder einer erfolgreichen Weiterentwicklung einer Trainingseinheit über mehrere Wochen hinweg kann ich aus eigener Erfahrung versichern, dass das Eintragen dieser Daten richtig Spaß macht und motiviert. Wenn man solche Erfolge dann auch noch mit „Offline-Belohnungen“ wie einem leckeren Essen im Restaurant verknüpft, ist die Motivationsstütze perfekt.
 
Schon längst ein Trend: Das Trainingstagebuch goes social
Auch im virtuellen Bereich kann man mit seinen Trainingsdaten mittlerweile eine Menge Spaß haben. Netzwerke wie Strava oder Garmin Connect ermöglichen den Austausch mit anderen Läuferinnen und Läufern auf der ganzen Welt. Inspiration, gemeinsames Fachsimpeln und - wer es mag - auch etwas Prahlerei: Seine Trainingsdaten mit anderen zu teilen kann motivieren und vor allem beim Blick auf das Training von Weltklasseathleten den eigenen Horizont enorm erweitern. Denn es ist mit etwas Fleiß und Konsequenz oft viel mehr möglich, als man auf dem ersten Blick denkt.
 
Das Trainingstagebuch in meinem Alltag als Profi
Auch aus meinem Sportler-Alltag ist das Trainingstagebuch nicht wegzudenken und spielt für meinen Trainer eine ähnlich große Rolle wie für mich selbst. Die Basis meines Protokolls bildet ein Google-Tabellen-Dokument, in dem ich für jede Woche ein Tabellenblatt anlege und das zudem über eine Gesamtübersicht über alle Jahre hinweg verfügt. Mit Hilfe der entsprechenden Google-Tabellen-Befehle lassen sich viele Elemente des Protokolls automatisieren, sodass beispielsweise die Zahl der absolvierten Wochenkilometer in einer bestimmten Woche automatisch in der Gesamtübersicht erscheint.
 
Gefüttert wird das Protokoll mit Hilfe der Daten aus meiner GPS-Uhr, die für mich das zentrale Element bei der Umsetzung meines Trainingsplans ist. Entscheidend sind für mich dabei drei Parameter: Der Umfang der Trainingseinheit in Kilometern (bei Alternativtraining in Minuten), das genau Trainingsprogramm inklusive der Geschwindigkeit und die bereits erwähnten „weichen Fakten“ wie das Laufgefühl und äußere Einflüsse. Zudem erfasse ich auch begleitende Maßnahmen wie Physio-Behandlungen und Krafttraining. Diese Daten spiegeln sich dann in den jeweiligen Wochenübersichten (siehe Infobox) und der Jahresübersicht (siehe Infobox) wider, sodass sich auf allen Ebenen ein umfassendes Bild ergibt. Indem ich bei der Jahresübersicht mit Farben, die sich auf die jeweiligen Wochenumfänge beziehen, arbeite, lassen sich schon auf den ersten Blick konstante grüne oder weniger konstante rote Phasen herauslesen. Zudem berücksichtige ich auch in der Jahresübersicht persönliche Umstände, zum Beispiel Verletzungen und Krankheiten, durch die sich schwache Trainingsphasen besser einordnen lassen.


 
Ein großer Vorteil dieses digitalen Ansatzes ist, dass mein Trainer in Echtzeit von überall sowohl vom Laptop als auch vom Handy aus auf diese Daten zugreifen kann. Dies erleichtert ihm die Trainingsplanung und er kann ohne kommunikativen Aufwand seine aktuelle Planung mit Daten aus der Vergangenheit abgleichen oder sie an ihnen ausrichten. Auch in Phasen, in denen ich als Athlet nicht gut telefonisch erreichbar bin, erhält er durch mein sauber geführtes Trainingsprotokoll stets einen detaillierten Einblick ins aktuelle Training. In diesem Zusammenhang werden auch die über die reinen Trainingsdaten hinausgehenden „weichen“ Fakten wie das Laufgefühl, äußere Einflüsse wie Wind oder eine schlechte Tagesform für ihn besonders wichtig, denn nur so kann er die Trainingseinheiten richtig einordnen. Auch für mich ist es oft aufschlussreich, einige Jahre zurückzublättern und aktuelle Trainingsphasen mit zurückliegenden zu vergleichen.
 
Mit etwas zeitlichem Abstand fallen dabei häufig Fehler auf, die man zu einem früheren Zeitpunkt gar nicht auf dem Schirm gehabt hat und die ohne die Daten aus dem Trainingstagebuch wohl nie erkannt worden wären. Ein gutes Beispiel ist dafür meine Vorbereitung auf den Köln Marathon 2019, in der ich über viele Wochen hinweg auf allerhöchstem Niveau trainiert habe, am Wettkampftag aber schwach abschnitt. Mit Hilfe des erfassten persönlichen Befindens wurde meinem Trainer und mir jedoch recht schnell klar, dass ich mich trotz der starken Trainingseinheiten schleichend in ein Übertraining begeben habe, was damals jedoch schwer zu erkennen war. Als Lektion daraus haben wir in diesem Fall mehr prophylaktische Erholungstage nach harten Blöcken gesetzt und die Taperingphase vor dem Wettkampf verlängert, was einige Monate später beim Sevilla Marathon mit erfüllter Olympianorm voll aufging.
 
Selbstverständlich ist eine derart detaillierte Datenerfassung nicht für jedes sportliche Ziel nötig. Dennoch lohnt es sich für jeden zielorientierten Läufer, ein Trainingstagebuch zu führen und ihm zumindest als mentale Stütze eine Chance zu geben.